zur Einschätzung des Denkmals


  • frühe große Eisenbeton Hallenkonstruktion
  • die Paarung von Ingenieurleistung und Architektur
  • es ist das letzte annähernd vollständig erhaltene Gebäude und Inventar einer der ersten Kläranlagen
  • doppelte Moderne: Jugendstil an einem Bau der Hygiene

Frühe Eisenbeton Hallenkonstruktion

Die neuartige Bautechnik „Eisenbeton“ ermöglichte vollkommen neuartige Konstruktionsweisen. Siehe dazu beispielhaft das Vorwort auf Seite 9 „Die künstlerische Gestaltung der Eisenbetonbauten“… „die Bres­lauer Markthalle,“ .. 1908 erbaut, … „als Vertreterin des neuartigen, die Merkmale des Eisenbetons ver­körpernden Bautyps“

ELFTER BAND DES HANDBUCHES FÜR EISENBETONBAU 1915, Seite 9, das Foto der Markthalle Seite 23
http://delibra.bg.polsl.pl/Content/31068/BCPS_34245_1915_Handbuch-fur-Eisenbe_0000.pdf

Daher kann Vermutet werden, das es sich – insbesondere bei der großen Klärhalle – um eine der frühesten vollständigen Eisenbeton Gebäudekonstruktionen handelt.

Paarung von Ingenieurleistung und Architektur

Sicherlich ist die Konstruktion des Hallengebäudes des Klärwerks der Stadt Krefeld nicht einfach „nur“ durch den jungen Architekten Bruggaier „erstellt“ worden, vielmehr muss eine erfahrene Baufirma wie „Dyckerhoff und Widmann“ mit ihren herausragenden Ingenieuren die technischen Aspekte und die Ausführung des Baus begleitet haben. Ob „Dyckerhoff und Widman“ als Baufirma mit beteiligt war, ist Gegenstand der gegenwärtigen Forschung, es könnte auch eine andere der Handvoll Firmen gewesen sein, beispielhaft sei „Wayss & Freytag“ oder „Lolat-Eisenbeton GmbH“ genannt.

Das Wechselspiel und die herausragende Rolle der Ingenieure die sich mit Eisenbeton beschäftigen wird hier genauer beleuchtet:
Willy Gehler, Versuch einer Einordnung, TU-Dresden
https://tu-dresden.de/bu/bauingenieurwesen/imb/ressourcen/dateien/forschung/publikationen/monographien/Tagungsband-WillyGehler_screen-version_100dpi.pdf?lang=de

Es kann daher vermutet werden, dass der Architekt Bruggaier, als auch das verantwortliche „Kanalamt der Stadt Krefeld“ damals nicht in der Lage waren, eine solch künstlerische Konstruktion eines Gebäudes, dazu noch im auch „kostspieligen“ Jugendstil, ohne die fundierte Hilfe eines der Eisenbetonpioniere zu erreichen.

Gebäude und das erhaltene Inventar einer der ersten Kläranlagen

Die Krefelder Anlage stellt eine, nach bisherigem Forschungsergebnis möglicherweise an das „Auslaßbauwerk Nord und Süd“ in Hamburg (nicht erhalten) angelehnte Anlage dar. Die Hamburger Kanalisation, insgesamt durch den englischen in Hamburg damals lebenden Ingenieur William Lindley projektiert, stellt insgesamt die erste moderne Stadtentwässerung auf dem Kontinent dar.

William Lindley, später seine Söhne, stellten Pläne für die Kanalisationen der modernen Städte auf. So unter anderem in Frankfurt, Prag, Budapest, Wien, Warschau, St. Petersburg, Sidney. Die in Hamburg eingesetzte Kanalisation ist das Vorbild, auch für Krefeld. Die technische Anlage zur Abwasserreinigung wurde damals durchweg als Sieb/Rechenanlage, um die groben Stoffe im Abwasser „abzufischen“, so auch geschehen in Köln, Düsseldorf, Hamburg, Dresden, konzipiert. Der Rhein, als sehr wasserreicher Vorfluter, erforderte damals nur diese Art der Reinigung. Städte mit geringerer Wassermenge des Vorfluters mussten notgedrungen andere weitergehende Reinigungsverfahren entwickeln, so beispielhaft in Frankfurt geschehen.

Die Beschreibung der technischen Konstruktion der Hamburger Auslassanlagen Nord und Süd ist, als Vergleich mit Krefeld, ist hier zu finden: „Hamburg uns seine Bauten, Entwässerung des Stadtgebietes, Baurat Curt Merckel, 1914 http://www.diglib.tugraz.at/download.php?id=56c2e2baaca26&location=browse Seite 347-349
Vergleiche mit Grundriss und Schnitt der Inventarienzeichnungen zur Reinigungsanlage der Stadt Krefeld, im Original erhalten bei der UDB.

Es sind europaweit so gut wie keine historische Kläranlagen erhalten, da die Änderung der Klärtechnologie und die Abwassermenge als auch -Qualität sich laufend veränderte und dies die Betreiber zu Neubauten oder Umbauten zwang. In Deutschland erhalten sind noch Teile des „unterirdisch“ errichteten Klärwerks Frankfurt Niederrad, eine Anlage mit Absetzbecken für die chemische Fällung – aufgrund des deutlich weniger Wasserreichen Vorfluges Main. https://www.fitg.de/fileadmin/FITG-Journal_pdf/FITG2009_03.pdf Im weiteren europäischen Raum ist noch das Klärwerk in Prag Bubenec „Stara-Cistirna“ erhalten http://stara-cistirna.cz/en/vismo/galerie2.asp?id_org=600764&id_galerie=1012&n=building&p1=1074

Es kann somit vermutet werden, dass es sich um eine einzigartige erhaltene Anlage aus der Gründungsphase der modernen Stadtentwässerungen auf dem europäischen Kontinent handelt.

Doppelte Moderne: Jugendstil an einem Bau der Hygiene

1909 erbaut, in seiner Formgebung des Jugendstils einzigartig, ein moderner Zweckbau der Hygiene. Das Klärwerk muss schon durch seine Gestalt wie ein Ufo im Rheinland erschienen sein. Dazu die klare Aussage der Stadt „wir sind modern“, denn wir reinigen das Abwasser mit der besten verfügbaren Technik. Modernste Technik (aus Hamburg), modernstes Baumaterial (Eisenbeton), hervorragende Bauausführung gepaart mit exzellenten Materialien (Terrazzo im gesamten Gebäude, Kahla Kacheln im gesamten Gebäude rundum).

Es kann daher vermutet werden, dass die Reinigungsanlage 1909 einer der modernsten Bauten ihrer Zeit war.